Laudatio
„Jeder Schnitt ist erst mal eine Verletzung“ – So hat Raimund herumgeflachst, als wir vor fast 15 Jahren an dem Film arbeiteten, den Sie gleich sehen werden, meine Damen und Herren. Aus dem Munde eines Meisters der Filmmontage klang mir das zunächst wie ein Kalauer. Erst später habe ich verstanden, dass in diesem lässig servierten Wortspiel eine ganze Philosophie der Filmmontage versteckt ist. So etwas ist typisch für Raimund: den Ball immer schön flach halten! Denn dieser Satz „Jeder Schnitt ist erst einmal eine Verletzung“ bedeutet ja nichts anderes als: „Gehe sorgsam mit dem Material um, das Dir da auf den Schneidetisch gelegt wird. Achte es, spüre ihm nach, brich es nicht gewaltsam auf, sondern bewahre seine Integrität! Versuche zu verstehen, was die Idee ist, die in diesem Material steckt und arbeite sie heraus.“
Mir als aufgeregtem Debütanten konnte nichts Besseres widerfahren, als mit einem so erfahrenen und Ruhe ausstrahlenden Haudegen wie Raimund Barthelmes arbeiten zu dürfen. Denn in seinem fränkischen Sturschädel und in seinem mächtigen Bauch vereint er alle wichtigen Eigenschaften, über die ein herausragender Editor, wie er es ist, verfügen muss:
Da fällt mir zuallererst sein menschenfreundlicher und humorvoller Blick auf die Figuren ein. Raimund hat ein feines Gespür für die verborgenen Regungen, in denen die Protagonisten eines Films ihr Innerstes, ihr So-Sein offenbaren. Er versteht es, diese verborgenen Seelenzustände sichtbar zu machen in seinen Montagen, ohne dabei die Menschen der Lächerlichkeit preiszugeben. Sein Blick ist getragen von Empathie, aber er lässt sich nicht blenden, noch sieht er über menschliche Schwächen oder Unzulänglichkeiten hinweg. Er macht die Menschen nicht lächerlich, auch nicht dort, wo es etwas zu lachen gibt. Und in den Filmen, die Raimund montiert hat, gibt es fast immer viel zu lachen, selbst wenn das Lachen manchmal im Halse stecken bleibt.
Mir fällt zweitens Raimunds untrügliches Gespür für den Aufbau einer filmischen Erzählung ein. Anders als im Spielfilm gibt es bei der Montage eines Dokumentarfilms so gut wie nie ein Drehbuch, an dem es sich entlang arbeiten lässt. Im Spielfilm ist jeder kleinste Handlungsumschwung festgeschrieben worden, bevor die erste Einstellung gedreht wird. Ganz anders sieht das aus bei der Montage eines Dokumentarfilms: Aus einem Berg von Material – das können mitunter hundert Stunden oder mehr sein – gilt es eine Erzählung herauszudestillieren, gilt es Anfang und Ende zu finden, und, ganz wichtig, die 90 Minuten dazwischen, kurz: den Film. Wie treffe ich bei dieser potentiell unendlichen Zahl von Kombinationsmöglichkeiten genau jene Auswahl der Einstellungen und Szenen, aus denen sich schließlich die Geschichte fügt? Wann und wie führe ich Figuren ein, und welche Konsequenzen hat das für den Fortgang der Erzählung? Wie wecke ich zunächst die Neugier des Zuschauers, um sie dann noch immer weiter zu steigern und nicht zu verlieren? All das sind auch sehr handwerkliche Fragen. Sie im Sinne des Films beantworten zu können, setzt aber mehr als nur Handwerk voraus. Es erfordert eine umfassende Kenntnis von filmischen Erzähltechniken und ihren Wirkungsweisen, kurz all das, was wir Dramaturgieverständnis nennen. Raimund verfügt über dieses Wissen in einem hohen Maße, und es wird Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen verrate, dass er neben vielem anderen auch ein großer Literaturliebhaber ist. Seine kleine Münchner Wohnung ist vollgestopft mit Büchern. Einen Gutteil seiner Gagen hat er in schöne Literatur und in schöne Bücher investiert. Ich erinnere mich an Dutzende Bände der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen „anderen Bibliothek“ – natürlich, wie es sich für einen Bibliophilen gehört - in der in Leder gebundenen Vorzugsausgabe.
Ich möchte auch noch eine dritte ganz wesentliche Begabung erwähnen, über die Raimund verfügt, und mit der er jeden Film in seinen Händen zu etwas ganz Besonderem macht: Musikalität. Raimund stammt aus einem hochmusikalischen Elternhaus. Wenn ich mich richtig erinnere, war sein Vater Mitglied der Bamberger Symphoniker, und er selbst strebte in seiner Jugend einige Jahre lang eine Karriere als Konzertpianist an. Dass er diesen Weg dann nicht weiter verfolgte, sondern sich stattdessen der Filmmontage zuwandte, ist unser Glück. Raimund Barthelmes‘ Montagen zeugen von einem untrüglichen Sinn für Rhythmus und Proportion, aber diese Begabung drängt sich bei ihm nie als Selbstzweck in den Vordergrund, sie dient immer der Erzählung. Das ist es, was für mich wahre Meisterschaft ausmacht.
Von Raimunds Barthelmes Meisterschaft können Sie sich nun gleich selbst überzeugen. Für mich waren die Monate mit ihm im Schneideraum das reine Glück, ich glaube, ich habe nie so viel gelacht wie mit ihm, als wir an „Die Blume der Hausfrau“ arbeiteten. Raimund, dafür danke ich Dir! Und ich gratuliere Dir von ganzem Herzen zu dieser Auszeichnung; ich kenne keinen, der sie mehr verdient hätte als Du.
Ihnen, meine Damen und Herren, wünsche ich jetzt viel Vergnügen mit „Die Blume der Hausfrau“.
(Diese Laudatio auf Raimund Barthelmes hielt Dominik Wessely zur Eröffnung von Filmplus am 23.11.2012)